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Tagblatt – Mittwochspalte (03.04.2024)

Tagblatt – Mittwochspalte (03.04.2024)

Efstratios Boutloukos

Oft schätzt man etwas erst, wenn man es verloren hat. Und erst recht, wenn man es dann wiederfindet. Bei der Liebe ist der Entzug sofort spürbar, bei rationalen Sachen, wie das Recht auf freie Wahlen, passiert das schleichend.

Um Schreie für dieses Recht zu hören, muss man gar nicht ins Ausland gehen, viele Tübinger Mitbürger mit Migrationshintergrund kennen es aus eigener oder familiärer Erfahrung. Manche sind im Integrationsrat der Stadt vertreten, eine erzählt „Mir wurde beigebracht, ich sollte mein Wahlrecht in Anspruch nehmen und niemanden anderen, Entscheidungen für mich treffen lassen“.  U. a. deswegen kann ich nur empfehlen, zu unseren öffentlichen Sitzungen im Rathaus zu kommen (z. B. am 14.5.).

Mitbürger mit Migrationshintergrund sind auch in den Gemeinderat gewählt worden, das aktuelle Wahlrecht erlaubt das aber nur für Anwohner mit Unionsbürgerschaft. Diesbezüglich gibt es Bemühungen, die zurück in die 80er gehen, um das Wahlrecht zu erweitern. U. a. über dieses Thema berät der Integrationsrat die Stadtverwaltung.

Die meisten Bürger Tübingens haben aber schon die Wahl und zwar bald, bei der anstehenden Kommunalwahl so wie Kreistag und Europawahl am 9. Juni. Ob die aktuellen politischen Entwicklungen noch mehr Menschen als sonst zur Teilnahme mobilisieren können, lässt sich nicht im Voraus sagen. Die Hürde, zu einer Demonstration zu gehen, könnte scheinbar geringer sein als die, zum Wahllokal zu gehen. Doch in beiden Fällen spielt die Anzahl der Teilnehmer eine vergleichbar wichtige Rolle.

Dass politische Partizipation auch online möglich ist, hat unsere Stadt erkannt und Abstimmungen per App durchgeführt. Durch deren nicht-bindenden Charakter kann es aber vorkommen, dass der Gemeinderat sich gegen solche Ergebnisse entscheidet (wie z. B. bei der Sperrung der Mühlstraße). Die echte Wahl ist somit alle 5 Jahre und am 9.6. ist es wieder soweit. Hier können die Wahlberechtigten durch deren Repräsentanten die politische Richtung bestimmen. 

Die Auswahlmöglichkeiten bei der Kommunalwahl sind zahlreich; und ein Kreuz bzw. eine Zahl hinter einem Namen schenkt gewisses Vertrauen, bei dem man sich nicht verletzen lassen möchte. Im Gegensatz zur Liebe kann man aber hier bedenkenlos mehrere Personen gleichzeitig aussuchen. Partizipation ist jedenfalls besser als Abstinenz.

Efstratios Boutloukos (Integrationsrat)